Das Refektorium
Die zweischiffige fünfjochige Säulenhalle im Ostabschnitt, wohl schon von Anfang an als Refektorium konzipiert, dient heute sinngemäss als Mensa des Lehrerseminars. Der Eingang befindet sich im dritten Kreuzgangjoch von Osten, welches die aufwendigste Rippenfiguration aufweist. Das trichterförmige Portal nimmt eine spitzbogige Türe mit polygonaler Profilverdachung und ein tympanonartiges Blindfeld mit vergittertem Oblicht auf. Über zwei leeren Figurengehäusen entwickelt sich ein reich profilierter gedrückter Bogen, in dessen Scheitel ein skulptierter Stein mit verstümmelter Halbfigur der Leidensmutter Christi über Wolkensaum sitzt, seitlich begleitet von zwei Käuzchen in einer Profilkehle. Reich verschlungene Bandrolle mit Inschrift: «O QVOTIENS HVNC GLADIVM COR EIVS SENSERAT PIVM ANO DOMINI 1513» - Wie oft hat ihr frommes Herz das Schwert durchbohrt. Darüber klagt ein aufgemalter Text über den Bildersturm: «Grande malum, sacras adeo temerare figuras - Also in die Bilder toben, Bey Gott klagt im Himel oben 1529.»
Im zweischilfigen Refektorium tragen vier Rundpfeiler insgesamt zehn Sternrippengewölbe. Die Pfeilerbasen sind achteckig, einmal sechzehneckig zugeschnitten, die Kapitellzone ist je einmal mit verschnittenen Halbkreisen und mit Astwerk verbrämt. Die Rippenanfänger an der Wand sind durch heraldische Schilde kaschiert. Von Ost nach West paarweise aufgezählt: bekröntes Reichswappen - dreiteiliger Fürstabtschild Gaisberg, Luzern - Zürich, Schwyz - Glarus, Kreuz mit Nägeln - Geisselsäule mit Rute und Knute, Dornenkrone mit gekreuzten Schlägern- gekreuzte Lanze und Ysopstengel, Stadt Altstätten - Vogtei Rosenberg, Wil - Lichtensteig, Vogtei Romanshorn - Amt Rorschach, Vogtei Iberg - Wildhaus; in den westlichen Ecken Vogtei Blatten - Oberriet (Kriessern), dazwischen Phantasiewappen Gallus -Otmar. Die figürlichen Schlusssteine von Ost nach West: Christus als Schmerzensmann und Maria, Gallus und Otmar, Benedikt und Magnus (auch als Notker interpretiert, der 1513 seliggesprochen wurde), Kolumban und Martin, Scholastika und Wiborada. Die qualitätvollen Halbfiguren sind durch Attribute, Gewandung und Insignien identifiziert: die männlichen Gestalten sind von Vierpässen mit Eckzwickeln, die weiblichen mit reinen Vierpässen gerahmt. Das Refektorium dürfte noch vor Eintreffen der Bildbauerequipe 1513 begonnen worden sein. Die Wappengalerie der sanktgallischen Herrschaften entspricht sogar dem heraldischen Legitimationsbedürfnis des Abtes Ulrich Rösch. Die massigen Rundpfeiler verschwistern sich mit den Hallen im Westflügel und dem Kapitelsaal. Ob die Architekturteile aus Sandstein farbig gefasst waren, konnte nicht ermittelt werden. Die Tingierung der Wappen ist erneuert, der blaue Grund und das Gold der Rahmenstäbe der Schlusssteine sind nach Befund rekonstruiert.
Text aus: Bernhard Anderes, RORSCHACH, Ehemaliges Kloster Mariaberg, 1982 (Herausgegeben vom Amt für Kulturpflege des Kantons St.Gallen und von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern (Schweizerische Kunstführer, Serie 32, Nr.320)