ZUR FRAGE DER BAUHÜTTE

Seminarlehrer Johannes Seitz hat an 1682 Werkstücken rund 100 verschiedene Steinmetzzeichen festgestellt, von denen viele seither verschwunden sind. Er hat sie auf einem (verschollenen) Plan lokalisiert und eine relative Bauabfolge erstellt, die von überlieferten Daten, vom Stil und von der Steinbearbeitung her erhärtet wird. ERASMUS GRASSER wird zwar als Planverfasser der Klosteranlage genannt; sein Einfluss macht sich aber vor allem in der figürlichen Bauplastik der Spätzeit bemerkbar, als seine persönliche Gegenwart auch quellenmassig belegt ist. Die meisten Steinmetzen dürften sich aus der ortsansässigen Bauhütte rekrutiert haben. Mit Namen bekannt sind die Werkmeister BERNHARD RICHMANN (gest. 1498), LIENHARD RICHMANN (ein neu aufgemaltes Zeichen mit der Jahreszahl 1519 [oder urspr. 1514?]) im nördlichsten Joch des Ostkreuzganges (beide 1495 zusammen mit einem KLAUS RICHMANN auch auf der Reichenau nachgewiesen) und nach 1522 HANS GRAF (gest.1526). Auf einen AUGUSTIN RICHMANN deutet ein sprechendes Zeichen am zweiten Masswerkfenster von Osten im nördlichen Kreuzgangarm hin. Die Richmann kamen aus Staad, das eine Hochburg des Steinmetzhandwerks war. Ein ULRICH WALDMANN wird als Besitzer des Rorschacher Steinbruchs, der nicht weit von Mariaberg entfernt gelegen haben dürfte, genannt.
Weitere Steinmetzen dürften aus Schwaben und Württemberg zugezogen sein. In die Frühzeit des Klosterbaus weist beispielsweise das Zeichen , das sich im Musiksaal und an den ersten drei Masswerken des Ostkreuzgangs findet und möglicherweise PETER VON CANNSTADT gehört, der 1480-1489 die Hallenkirche St. Michael in Waiblingen bei Stuttgart baute und sich dort an einem Gewölbeansatz mit seinem Meisterschild und der Jahreszahl 1488 «porträtierte». Identische oder verwandte Steinmetzzeichen sind auch an weiteren Kirchen im Neckarraum nachzuweisen, in Marbach, Wimpfen am Berg, Schwaigen und Öhringen.
Hingegen hat Seitz eine interessante Spur in die Steiermark verfolgt, die Mariaberg auch ins internationale Baugeschehen rückt. Hinsichtlich Zuweisung von Steinmetzzeichen ist allerdings Vorsicht geboten; aber insgesamt drei, auch im Admonter Hüttenbuch (Landesarchiv Graz) vorkommende Zeichen lassen doch aufhorchen. Ein Zeichen scheint keinem Geringeren als dem Nürnberger WOLFGANG TENK zu gehören, dort erwähnt 1480. Er ist nachgewiesen in Perchtoldsdorf (Niederösterreich) und in Blaubeuren (Württemberg), bevor er 1485 als Werkmeister an die Stadtpfarrkirche von Steyr (Oberösterreich) berufen wurde, wo er 1513 starb (Grabstein mit Werkzeichen erhalten). Ein weiteres Zeichen über der Türe des Kapitelsaales gehört möglicherweise MATHEUS WALDNER, der offensichtlich identisch ist mit dem sog. Ilanzer Meister (Poeschel), der in Ilanz St.Martin (um 1505/09) und St.Margaretha (1518), Churwalden (1502/11), Zillis (1509), Safienplatz (1510) und Ems (1515) nachgewiesen ist. Schliesslich vielleicht auch das Zeichen von STEFAN WULTINGER, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Oberösterreich tätig war und 1516 in die Admonter Bauhütte eintrat. Sein baukünstlerisches Leitmotiv ist der Rippenstern in reicher Ausgestaltung (z.B. in der Dreifaltigkeitskirche Gaishorn bei Admont 1520), wie er auch im nördlichen Kreuzgangarm in Mariaberg vorkommt. Nordöstlicher Einfluss macht sich auch im dynamischen Rippengeschlinge des Gewölbes vor dem Refektorium bemerkbar, eine «barocke» Komponente, welche der sog. Donauschule mit Strahlung nach Württemberg eignet.
Die österreichische Vorherrschaft im Baugeschehen der Spätgotik ist auch in Graubünden, dem einzigen Gebiet der Schweiz mit einer geschlossenen Gruppe spätgotisch gewölbter Bauten, nachzuweisen. Die beiden Hauptmeister STEFAN KLAIN (KAINDL), tätig 1474 bis 1491, und ANDREAS BÜELER, tätig 1487 bis um 1512, stammten aus Freystatt in Oberösterreich, bzw. aus Gmünd in Kärnten.
Wenn auch Mariaberg nicht zu den ganz grossen Bauplätzen der Spätgotik zählt, so wird hier doch besonders deutlich, wie migrierende Steinmetzen aus dem Osten gerade in Rorschach Halt machen, um hier kurze oder längere Zeit ihr Handwerk auszuüben. Dieser Sachverhalt spricht einerseits für die weitreichenden Beziehungen des Klosters St.Gallen, anderseits auch für den guten Ruf der Bauhütte Rorschach, die über grosse Sandsteinbrüche verfügte.


Text aus: Bernhard Anderes, RORSCHACH, Ehemaliges Kloster Mariaberg, 1982 (Herausgegeben vom Amt für Kulturpflege des Kantons St.Gallen und von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern (Schweizerische Kunstführer, Serie 32, Nr.320)